Black schools
Die Diskussion um „Black-centred Schools“ begann in den USA in den 1980er Jahren und wurde in Kanada in den 1990er Jahren mit dem Begriff „Afrocentricity“ aufgenommen. Die Debatte wendet sich gegen die Schulen für schwarze Kinder und Jugendliche, die vor allem in den USA im Zuge der Rassensegregation geschaffen wurden bzw. in Folge der Konzentration schwarzer Bevölkerung in den armen Stadtteilen der Städte entstanden sind. Black- bzw. Afrocentricity ist demgegenüber ein theoretisches Konzept, dass das Recht der Subjekte verteidigt, sich in ihrer Individualität, ihren Potentialen, ihrer Geschichte und Kultur zu „zentrieren“ – im Deutschen würde man dies wohl mit dem Verb „verorten“ ausdrücken. Ziel ist jedenfalls die Befreiung der Schwarzen Bevölkerung von eurozentristischer Bevormundung und Domination. [Ajirotutu/Pollard 2000; Kozol 2005; Dragnea/Erling 2008]
Mehrfach wurden in empirischen Untersuchungen zum Wunsch Schwarzer Jugendlicher bzw. ihrer Familien nach „Black schools“ mehrere – über die Jahre stabile – Begründungsmuster herausgearbeitet: Zum einen werden persönliche und kollektive Erfahrungen von Ungleichbehandlung in der Public School aufgrund der Hautfarbe genannt. Überdies wird kritisiert, dass fast keine Schwarzen Lehrkräfte an den Schulen vorhanden sind. Außerdem wird die unzureichende Thematisierung der Geschichte und Unterdrückungserfahrungen der Afroamericans und -canadians im Curriculum, in den Schulbüchern und in den Unterrichtsinhalten bemängelt. Durch all dies fühlen sich Schwarze Schülerinnen und Schüler ausgeschlossen und fordern eine „Neuzentrierung“ des Wissens, der Kultur und der Schwarzen Identität. Die selbst gewählte Separation der „Black-centred“ oder „Africentric Schools” unterscheide sich von der Zwangssegregation, die Schwarze früher erlebt haben. Vielmehr sei es eine pädagogische Alternative für solche Eltern, die eine Africentric Education für ihre Kinder möchten. [Dei 1996, 2006; Hampton 2010]
Eine werteorientierte Position bezieht sich auf traditionelle afrikanische Werte, die für den gesamten afrikanischen Kontinent gelten würden und die sowohl den gewaltsamen Kolonialismus als auch die assimilierende Globalisierung überdauert hätten. Dieses Wertesystem wird als ein Gegenpol zur okzidentalen Moderne gesehen. In den Schulprogrammen wird überdies an das afrikanische Sprichwort erinnert, dass es eines ganzen Dorfes bedürfe, um ein Kind zu erziehen. Anders als in den Public Schools, wo bestimmte Lehrkräfte für bestimmte Schüler einer bestimmten Klasse zuständig sind, möchte man sich an solchen Schulen zu einem „pädagogischen Dorf“ entwickeln, in dem alle für das Wohlergehen aller verantwortlich sind. In dieser Position wird der „Schulgemeinschaft“ höchste Bedeutung beigemessen, als Reflex auf Erfahrungen der Anonymität, Vernachlässigung, Verantwortungslosigkeit und Missachtung in den Public Schools. Die afrikanischen Werte werden zudem in Ritualen, in der Auseinandersetzung mit afrikanischer Philosophie und in „traditionellen“ kulturellen Repräsentationsformen (Story telling, Tanz, Trommeln) als soziale und emotionale Ereignisse zugänglich gemacht. [Mashate 2012]
Eine curriculare Position nimmt die in Nordamerika in den 1990er Jahren begründete Forderung auf, den „Kanon der toten weißen Männer“ zu ersetzen durch einen Lehrplan, der sich an Diversity orientiert. Das Curriculum soll afrikanische Geschichte thematisieren, im Unterricht soll afrikanische Literatur gelesen und die soziale Lage der Schwarzen Bevölkerung problematisiert werden. Einerseits ist es nicht schwierig, solche Inhalte in den Lehrplan aufzunehmen, spätestens bei der Frage nach der Vermittlung afrikanischer Sprachen ergeben sich dann jedoch kontroverse Diskussionen: Manche Eltern und viele Lehrkräfte halten dies für unnötig, weil afrikanische Sprachen in Nordamerika nicht (mehr) genutzt werden. Andere argumentieren, gerade weil diese Sprachen in den Familien nicht vermittelt würden, müsse die Schule dies tun. So gab es immer wieder Versuche, beispielsweise Swahili anzubieten, eine Sprache, die in Afrika eine überregionale Bedeutung hat; das wurde aber nur wenig nachgefragt. [Taylor 1997; Banks/Banks 2006]
Eine strukturorientierte Position verbindet rassismuskritische, menschenrechtsbasierte und identitätsstärkende Zielsetzungen („Black is beautiful“) mit der Forderung nach speziellen Unterstützungsangeboten für eine strukturell benachteiligte Schülerschaft. In dieser Position geht es inhaltlich eher um ein an den „Black Studies“ orientiertes Bildungskonzept, das identitätspolitische Referenzen in der Ausbildung einer selbstbewussten und positiven „Blackness“ Schwarzer Schülerinnen und Schüler sieht. Argumentiert wird, dass die Schwarze Schülerschaft keine persönliche Einwanderungsgeschichte aus einem afrikanischen Land miteinander teilt, sondern es die gemeinsame Erfahrung von Afroamericans und -canadians ist, in der Public School Ausgrenzungen verschiedenster Art in Bezug auf ihre Hautfarbe erlebt zu haben. In dieser Position wird die sprachliche, kulturelle und soziale Vielfalt der „Schwarzen Schülerschaft“ betont, welche aber zugleich die Erfahrung sozialer Ungleichheit verbindet. Eine Schwarze Identität könne zwar über historisches Wissen und kulturelle Praxis gestärkt werden, vor allem jedoch durch die Eröffnung von Bildungschancen. Deshalb kooperieren solche Schulen mit Jugendhilfeprojekten und sorgen für Stipendien. [Hampton 2010; James 2012]
Während es in den USA schon länger mehrere Black Schools gibt [Teasley 2016], wurde in Kanada 2008 in Toronto (Ontario) ein erster Schulversuch genehmigt. Die Einrichtung liegt in North York, einer Vorstadt im Nordwesten der größten Stadt Kanadas. Obwohl es ein sehr multikulturelles Viertel ist und die Immigration vor allem aus europäischen Ländern (Italien und Spanien) und aus Asien (Indien, China, arabische Staaten) erfolgte, wird der Stadtteil in den Medien jedoch fast ausschließlich als „Black Community“ dargestellt, mit allen Zuschreibungen, die damit verknüpft sind (Gewalt, Kriminalität, Drogen und Prostitution). Kanada klassifiziert die soziale Lage der Quartiere in einem „Learning Opportunity Index“ (LOI): von 479 Schulen in Toronto lag die Africentric Alternative School relativ weit unten auf dem 56. Rang. Schulen mit einem sehr niedrigen LOI schneiden in Toronto in den Schulleistungstests, die Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen vergleichen, immer unterdurchschnittlich ab, insbesondere im unteren Fünftel des LOI besteht ein straffer Zusammenhang zwischen Schulerfolg und sozio-ökonomischem Status der Eltern. Die in der Schülerschaft der Africentric Alternative School erzielten Schulleistungen sind seit Gründung der Schule markant angestiegen, der Leistungszuwachs liegt merklich höher als die in Toronto und in der gesamten Provinz Ontario erzielten Steigerungen. Obwohl die mediale Aufmerksamkeit im Laufe der Jahre etwas zurückgegangen ist, blieb die Berichterstattung überwiegend negativ, über die Erfolge der Schule wird nur ganz selten informiert. Die Africentric School ist eine achtstufige Elementary School, danach können die Schülerinnen und Schüler ihre Bildungslaufbahn an zwei Secondary Schools fortsetzen, die „afrizentrische“ Sekundarschulprogramme aufgelegt haben. Diese vertreten eher einen „curriculare Ansatz“, knüpfen also die Afrocentricity vor allem an die Unterrichtsinhalte. [James et al. 2014]
An den Black und Africentric Schools werden dieselben schulpädagogischen Fragen verhandelt, die auch in den (→) Indigenen Schulen geklärt werden müssen: Wie geht man im Schulsystem mit einer Geschichte um, die durch Kolonialismus und kulturelle Gewalt belastet ist? Wie lässt sich vermeiden, dass sich gesellschaftlicher Rassismus und alltägliche Diskriminierung in pädagogischen Settings reproduzieren? Wie können ethnisierte Bildungsbenachteiligungen ausgeglichen werden? Was lässt sich den machtvollen kulturellen Assimilierungstendenzen der Schule entgegensetzen? Wie lange sind separierende schulische Settings förderlich? Wie geht es danach weiter?
Ajirotutu, Cheryl S.; Pollard Diane S. (2000): African-Centered Schooling in Theory and Practice. New York: Bergin & Garvey. – Banks, James A.; Banks, Cherry A. (2006) (Eds.): Multicultural Education: issues and perspectives. Hoboken: Wiley & Sons. – Dei, George J. Sefa (1996): The Role of Afrocentricity in the Inclusive Curriculum in Canadian Schools. In: Canadian Journal of Education 21 (1996) 2, 170-186. – Dei, George J. Sefa (2006): Black-focused schools: A call for re-visioning. In: Education Canada 46 (2006) 3, 27-31. – Dragnea, Carmen; Erling, Sally (2008): The effectiveness of africentric (black-focused) schools in closing student success and achievement gaps: a review of the literature. Toronto: TDSB. – Hampton, Raymond E. (2010): Black learners in Canada. In: Race and Class 52 (2010) 1, 103-110. – James, Carl E. (2012): Life at the Intersection. Community, Class and Schooling. Halifax and Winnipeg: Fernwood Publishing. – James, Carl E.; Howard, Philip; Samaroo, Julia; Brown, Rob; Parekh, Gillian (2014): Africentric Alternative School Research Project: Year 3 (2013-2014) Report. Toronto: YCEC. – Kozol, Jonathan (2005): The shame of the nation: The restoration of apartheid schooling in America. New York: Three Rivers Press. – Mashate, Ron (2012): An Alternative Dream. A new school in Canada is harnessing the African heritage of its students to help them achieve more. In: Focus on Africa, April-June, 52-53. – Taylor, Charles (1997): Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Frankfurt am Main: Fischer Verlag. – Teasley, Martell (2016): School Choice and Afrocentric Charter Schools: a Review and Critique of Evaluation Outcomes. In: Journal of African American Studies, 1. DOI: 10.1007/s12111-015-9322-0.
Africentric Alternative School, Toronto, Kanada [2016; Foto: Schroeder]