Kinder- und Jugendhospize
In solchen Einrichtungen werden junge Menschen mit einer verkürzten Lebenserwartung aufgenommen, bei denen die Krankheit nicht geheilt werden kann und eine palliativ-medizinische Behandlung erforderlich ist, so bei Muskeldystrophie, Mukoviszidose und anderen Stoffwechselerkrankungen, bei neurologischen Erkrankungen mit progredienten Lähmungen, fortschreitenden Blut- und Krebserkrankungen sowie Aids. Obwohl die geschichtlichen Wurzeln der Hospizbewegung bis in das Mittelalter reichen, ist die Schaffung von speziellen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche eine relativ neue Entwicklung. Die ersten Kinderhospize wurden Mitte der 1980er Jahre in Großbritannien gegründet, auch in Österreich, den Niederlanden, Polen und Rumänien gibt es einige. Zahlreiche Hospize für progredient Erkrankte im Kindes- und Jugendalter existieren in Kanada, den USA und Australien. In Südafrika besteht eine gut ausgebaute palliative Versorgung für aidskranke Kinder und Jugendliche. In Deutschland wurde 1998 in Olpe ein erstes Kinderhospiz gegründet, das 2009 zu einem Jugendhospiz erweitert wurde. Bislang gibt es bundesweit zehn Einrichtungen für Kinder (u.a. in Berlin, Gelsenkirchen, Mannheim, Düsseldorf und Leipzig) sowie zwei für Jugendliche (Olpe, Hamburg). Während in den großen Städten wie insgesamt in Westdeutschland die Versorgungsstruktur als ausreichend gilt, sind weitere Hospize in Ostdeutschland sowie in ländlichen Regionen geplant, wo teilweise noch große Angebotslücken bestehen. Es gibt Überlegungen und teilweise konkrete Planungen für die konzeptionelle Ausdifferenzierung der Hospizbetreuung, um diese besser auf spezifische Problemlagen und Erwartungen bestimmter Zielgruppen anzupassen: Manche Programme beziehen die Geschwister verstorbener Kinder ein; es sollen Hospize für Säuglinge und Kleinkinder geschaffen werden sowie Häuser für Kinder und Jugendliche mit einem Migrationshintergrund, in denen mit kultursensiblen bzw. interkulturellen Ansätzen gearbeitet werden soll. [Jennessen et al., 2010, 2011]
Kinder- und Jugendhospiz Olpe [2011; Foto: Schroeder]
Hospizleistungen können ambulant oder stationär erbracht werden (§ 39 a SGB V). Die ambulanten Hospizdienste sind für Betroffene, die keiner stationären Unterbringung in einem Hospiz bedürfen. Die Betreuungsleistungen werden in den Familien von Fachkräften erbracht, die über mehrjährige Erfahrungen in der palliativ-medizinischen Pflege verfügen. Hinzu kommt eine qualifizierte ehrenamtliche Sterbebegleitung durch so genannte Familienhelferinnen und -helfer, die in den Familien, in stationären Pflegeeinrichtungen, in Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen oder der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind. Betroffene, die keiner Krankenhausbehandlung bedürfen, haben Anspruch auf einen Zuschuss zu einer stationären Versorgung in Hospizen, in denen palliativ-medizinische Behandlung gewährleistet wird, wenn eine ambulante Versorgung im Haushalt oder der Familie des Versicherten nicht erbracht werden kann. Ein Kinder- und Jugendhospiz bietet in der Regel neben den mit Pflegebetten ausgestatteten Zimmern für die „Gäste“, wie die Patientinnen und Patienten genannt werden, auch Übernachtungsmöglichkeiten für deren Angehörige. Gemeinschaftsräume, ein Bewegungsbad, ein Musiktherapie- und Snoezelenraum (Entspannungsraum), eine Gartenanlage mit Spielplatz, manchmal auch ein Streichelzoo oder Pferde, ein Raum der Stille sowie ein Abschiedsraum (in dem das verstorbene Kind aufgebahrt werden kann) gehören ebenfalls zur Grundausstattung solcher Einrichtungen. Das multiprofessionelle Team besteht aus Ärzten und Pflegepersonal, Seelsorgern und Psychologinnen, Therapie- und Betreuungsfachkräften sowie ehrenamtlichen Familienbegleitern, die mit den Kindern und Jugendlichen spielen, ihnen vorlesen, mit ihnen spazieren gehen, oder sich um die Geschwister kümmern und bei der Gestaltung von Festlichkeiten und Feiern mithelfen. [Meining 2008]
Die pflegerische und pädagogische Arbeit der Kinderhospize beruht auf mehreren Grundsätzen: Das Primat der häuslichen Versorgung wird in erster Linie damit begründet, dass die Trennung von den Eltern eine außerordentliche Belastung des Kindes mit sich bringt und elementaren Bedürfnissen, vor allem nach Sicherheit und Geborgenheit, entgegensteht. Der zweite Grundsatz beinhaltet die Ausrichtung der Versorgung auf die gesamte Familie, um die besondere Funktion und Problematik zu bearbeiten, die das Familiensystem im Rahmen der Versorgung von Kindern mit tödlich verlaufenden Erkrankungen kennzeichnet. Da die Stabilität des Familiensystems als Basis für eine bedarfsgerechte Betreuung gilt, müssen sich Versorgungsangebote einerseits an Bedürfnissen der Kinder als der eigentlichen Patientengruppe orientieren, andererseits jedoch auch die Problemlagen und Anliegen der Eltern und ggf. der Geschwister berücksichtigen. Deshalb ist das Leistungsangebot der Kinder- und Jugendhospize keineswegs nur auf die Versorgung in der finalen Krankheitsphase beschränkt, sondern zielt vielmehr auf die Begleitung und wirksame Unterstützung der Kinder und Familien von dem Zeitpunkt an, zu dem der Krankheitsverlauf durch therapeutische Bemühungen vielleicht verzögert, aber nicht mehr aufgehalten werden kann. Während Erwachsene ausschließlich in der Finalphase in ein Hospiz aufgenommen werden, können lebensverkürzend erkrankte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene und deren Angehörige bereits ab der Diagnoseerstellung stationär betreut werden. Die rechtliche Grundlage bildet hier die so genannte Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI), die pflegenden Angehörigen eine Entlastung von der oft jahrelangen Pflegearbeit bietet oder diese übernimmt, wenn sie zeitweise wegen Erschöpfung, einem Kuraufenthalt, bei eigener Erkrankung usw. verhindert sind. Kinder- und Jugendhospize sind klinikunabhängig, sie wollen ein zweites Zuhause bieten und sich möglichst weitgehend an den jeweiligen häuslichen Versorgungsgewohnheiten orientieren. Sie verstehen sich eher als Wohnhaus denn als Pflegeeinrichtung und verfügen u.a. aus diesem Grunde über eine relativ geringe Aufnahmekapazität (häufig nur acht bis zehn Kinder). [Wingenfeld/ Mikula 2002]
In Deutschland sind seit Mitte der 1970er Jahre auch Kinder und Jugendliche mit einer geistigen oder einer schweren körperlichen Behinderung sowie mit einer lebensverkürzenden Erkrankung in die Schulpflicht einbezogen. Zumeist werden die betroffenen Mädchen und Jungen in entsprechenden Förderschulen (Körperbehindertenschule, Geistigbehindertenschulen) unterrichtet. Im Rahmen der ambulant erbrachten Hospizleistungen besuchen die Betroffenen weiterhin diese Schulen, insofern der gesundheitliche Zustand es erlaubt. Teilweise müssen die Kinder und Jugendlichen hierfür weite Fahrtstrecken in Kauf nehmen. Während des Aufenthalts in einem Kinder- und Jugendhospiz sind sie weiterhin Schüler der Schule am Wohnort. In manchen Einrichtungen kommt auf Wunsch der Betroffenen eine Lehrkraft in das Hospiz, prinzipiell besteht auch die Möglichkeit, am Unterricht der nahegelegenen Förderschule teilzunehmen. Lern- und Bildungsangebote bestehen jedoch eher aus der individuellen therapeutischen und sozialpädagogischen Begleitung, in Gesprächsangeboten zur Auseinandersetzung mit dem Sterben sowie in Formen basaler Stimulation. Die Kinderhospizarbeit ist durch eine dialektische Sichtweise auf das Verhältnis von Pflege und Bildung geleitet: Pflege ist eine Voraussetzung für Bildung, denn erst nach der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse ist die Zugänglichkeit für pädagogische Förderung möglich; Pflege ist ein Anlass für Bildung, indem Pflegehandlungen mit Bildungsprozessen insbesondere im Bereich der Wahrnehmung und Kommunikation verknüpft werden können; Pflege bedarf der Ergänzung durch Bildungsangebote in allen Lebensbereichen, wie dem Essen, dem Wohnen, dem Entwickeln von Vorlieben etc., die zu Lern- und Bildungsprozessen erweitert werden können, welche der Betroffene dann unter Umständen selbst ausüben kann. [Klauß 2003]
Feldhoff, Maria (2015): Was ist anerkannte Kinderhospizarbeit? – Eine qualitative Studie der stationären und ambulanten Kinderhospizarbeit in Deutschland. Aachen: Shaker Verlag. – Jennessen, Sven; Bungenstock, Astrid; Schwarzenberg, Eileen; Kleinhempel, Joana (2010): Kinderhospizarbeit. Eine multimethodische Studie zur Qualität der innovativen Unterstützung und Begleitung von Familien mit lebenszeitverkürzend erkrankten Kindern und Jugendlichen. Norderstedt: Books on Demand GmbH. – Jennessen, Sven; Bungenstock, Astrid; Schwarzenberg, Eileen (Hrsg.) (2011): Kinderhospizarbeit: Konzepte - Erkenntnisse - Perspektiven. Stuttgart: Kohlhammer. – Klauß, Theo (2003): Bildung im Spannungsverhältnis von Pädagogik und Pflege. In: Kane, John; Klauß, Theo (Hrsg.): Die Bedeutung des Körpers für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Zwischen Pflege und Selbstverletzung. Heidelberg: Universitätsverlag, 39-63. – Meinig, Sabine (2008): Wenn Kinder sterben – die Arbeit im Kinderhospiz. Marburg: Tectum Verlag. – Wingenfeld, Klaus; Mikula, Marion (2002): Innovative Ansätze der Sterbebegleitung von Kindern: Das Kinderhospiz Balthasar. Forschungsbericht. Bielefeld: Institut für Pflegewissenschaften an der Universität Bielefeld.