Kolonialschulen für „Weiße“ in Deutschland
Das deutsche Kolonialschulwesen gliederte sich in mehrere Teilsysteme: Es gab in den afrikanischen Kolonien die so genannten „Eingeborenenschulen“ für die „schwarzen“ Kinder der Kolonisierten, die als staatliche „Regierungsschulen“ oder als christliche „Missionsschulen“ geführt wurden. Außerdem waren öffentliche oder private „Europäerschulen“ für die „weißen“ Kinder der deutschen Kolonialbeamten sowie der Kolonistenfamilien („Ansiedlerschulen“) eingerichtet worden [Adick 1981]. Im Deutschen Reich selbst gab es Kolonialschulen, in denen auswanderungswillige männliche und weibliche junge Erwachsene, aber auch ältere Jugendliche auf das Leben in den Kolonien vorbereitet und der Nachwuchs deutscher Siedlerfamilien aus den Kolonien in Deutschland beruflich qualifiziert wurden. In Süddeutschland wurden in einer „Ewe-Schule“ junge Männer aus Togo zu Missionaren ausgebildet (→ Schulen für Schwarze in Deutschland).
In Meyers Großem Konversations-Lexikon wird in der Ausgabe von 1907 unter dem Stichwort „Kolonialschulen“ von der Deutschen Kolonialschule Wilhelmshof bei Witzenhausen a.d. Werra berichtet, die gegründet worden sei, um „in erster Linie praktische Wirtschafts- und Plantagenbeamte, Pflanzer, Landwirte, Gärtner und Viehzüchter für die deutschen Kolonien und überseeischen Ansiedlungsgebiete tüchtig und vielseitig vorzubereiten“. Die Bildungsstätte wurde 1899 gegründet, aufgenommen wurden 17- bis 27-jährige reichsangehörige junge Männer, die in einer zwei- oder dreijährigen beruflichen Ausbildung den Abschluss eines „staatlich geprüften Koloniallandwirtes“ erlangen konnten. Die Kolonialschule stimulierte die fortschreitende Erschließung der deutschen Kolonien, sie erhielt wachsende Förderung von Industriellen, Kaufleuten und Pflanzungsgesellschaften, die fachlich vorgebildete Arbeitskräfte benötigten. Obwohl Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg keine Kolonien mehr hatte, expandierte das Institut sogar noch, denn es qualifizierte weiterhin für ein Leben als deutscher Siedler im Ausland. Im Nationalsozialismus bereitete die Einrichtung auf den Zeitpunkt der Rückgewinnung der Kolonien sowie auf die Ostkolonisation vor. Nicht-arische Schüler mussten die Kolonialschule nun verlassen. Die Schülerschaft setzte sich aus „weißen“ Schülern, die aus allen Teilen Deutschlands aber auch aus anderen Ländern Europas stammten, sowie aus jungen Männern aus Siedlungsfamilien zusammen. [Fabarius 1909; Deutsches Kolonial-Lexikon 1920a, 1920b; Baum 1997].
Die Schülerlisten verzeichnen „Deutschsüdwest“, Persien oder Bolivien als Herkunftsländer, durchweg hatten die Schüler deutsche Nachnamen, teilweise führten sie einen niederen Adelstitel. Der einzige Schwarze, der in der Kolonialschule lebte, war Franz Selimani Bin Juma. In Ostafrika geboren kam er, umbenannt in Franz Selemann, als Privatdiener eines Seeoffiziers nach dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland. Er arbeitete zunächst als „Neger-Boy“ auf einem Gutshof bei Hannover und wurde dann als Faktotum in die Kolonialschule vermittelt, wo er zwölf Jahre lang angestellt war. Kurz vor seinem Tod sollte Franz Selemann, als „moralisch minderwertiger Askari“ verunglimpft, aus der Einrichtung entfernt werden, doch die Kolonialschule wehrte sich erfolgreich dagegen. 1939 verstarb er im Alter von 53 Jahren und wurde in Witzenhausen bestattet. Ab 1957 wurde in dem bis heute bestehenden, wenngleich umbenannten „Deutschen Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft“ mit der Ausbildung für eine Tätigkeit in der Entwicklungshilfe begonnen. [Archiv des Deutschen Instituts; Staatsarchiv Hamburg; Baum 1997].
Ehemalige Kolonialschule Witzenhausen [2010; Foto: Schroeder]
Für auswanderungswillige junge „weiße“ Frauen war zunächst 1903 die Kolonial-Haushaltungsschule in Karthaus bei Trier eingerichtet worden, die vom Orden der P.P.Oblaten der unbefleckten Jungfrau Marie geleitet wurde. 1908 bis 1910 bestand die Kolonial-Frauenschule als Frauenabteilung der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen, ab 1911 bis 1914 wurden sie dann unter demselben Namen im hessischen Bad Weilbach bei Wiesbaden eigenständig weitergeführt. Nachdem das Deutsche Reich ab 1919 keine Kolonien mehr hatte, wurde diese Kolonialschule geschlossen. 1926 bis 1945 bestand jedoch die Koloniale Frauenschule im schleswig-holsteinischen Rendsburg. Alle diese Schulen bereiteten auf die ländlich hauswirtschaftliche Tätigkeit sowie für die Krankenpflege in Übersee vor. Die Schulleitungen knüpften Kontakte zu den deutschen Ansiedlungen in Afrika, aber auch in Südamerika, und bemühten sich, geeignete Stellen für die jungen Frauen nachzuweisen. Der erste Prospekt, der zur Eröffnung der Schule in Rendsburg 1927 herausgegeben wurde, war „sprachlich […] dem kolonialen Anspruch kompromißlos verbunden in männlich markanter Wortwahl“ [Rommel/Rautenberg 1983, 40]. Hier sollten „Frauen und Mädchen, die sich der schönen Aufgabe widmen wollen, unseren Landsleuten in der Ferne treue Kameradinnen zu sein“ [ebd.] qualifiziert werden, um „fähig [zu] sein, auf kleinen und großen Pflanzungen und Farmen ihren Mann zu stehen und das Deutschtum im Ausland würdig zu vertreten“ [Rosenfeld 1999, 79].
Die Ausbildung der jungen Frauen wurde auch nach dem Verlust der Kolonien fortgesetzt, um sie auf eine Auswanderung vorzubereiten, denn etliche Mädchen und Frauen entschieden sich, ein selbstständiges Leben in Übersee zu führen. Die Verlegung der Frauenschule von Süd- nach Norddeutschland in die Nähe der Auswanderungshäfen und gefördert von Schifffahrtsunternehmen, spiegelt diese Intentionen wider. Unter dem Stichwort „Auswandererfürsorge“ sollte die Schule entsprechende Hilfestellungen bieten. Die einjährige Ausbildung umfasste Hauswirtschaft, Kleinviehzucht und Obstbau, kaufmännisches Rechnen und Stenographie, nationalpolitischen Unterricht, Rassenkunde und Tropenhygiene. In einer Zusatzausbildung konnten sich die jungen Frauen zu tropenmedizinischen Krankenschwestern qualifizieren lassen. Auch in diese Schule wurden entweder reichsdeutsche Abiturientinnen aufgenommen oder deutschstämmige Mädchen aus überseeischen Gebieten (zum Beispiel Paraguay, Brasilien), die dort keine Berufsausbildung machen konnten. Während des knapp zwanzigjährigen Bestehens der Einrichtung wurden mehrere tausend junge Frauen ausgebildet, von denen sehr viele auch auswanderten. Überlegungen, nach dem Zweiten Weltkrieg die Schule fortzuführen, wurden nicht mehr umgesetzt. [Rommel/Rautenberg 1983; Rosenfeld 1999]
Neben den Kolonialschulen gab es weitere koloniale Bildungseinrichtungen, zum Beispiel das Aussiedlerschule genannte Institut an der landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim bei Stuttgart, das 1905 gegründet wurde und eine einfache und ausschließlich praktische Qualifizierung zum Tropenarbeiter anbot. Die Ausbildung der Kolonialbeamten erfolgte ab 1908 in der so genannten Kolonial-Akademie in Halle/Saale sowie am Kolonialinstitut in Hamburg, aus dem dann die Universität Hamburg hervorgegangen ist. Die Tropenärzte wurden am Deutschen Institut für Ärztliche Mission in Tübingen ausgebildet. Wir finden somit ein zwar winziges, gleichwohl mehrgliedriges, nach Bildungsgängen und Bildungsstufen differenziertes „Kolonialschulsystem“ in Deutschland, das dahingehend Züge der Apartheid aufwies, dass nur „Weiße“ zugelassen wurden, während den Kolonisierten der Zugang verwehrt war.
Archiv des Deutschen Instituts für Tropische und Subtropische Landwirtschaft (Witzenhausen an der Werra): Angestelltenakte: Bin Juma Franz Selimann – Hausdiener 1927-1939. – Staatsarchiv Hamburg: Akte: Geplante Verlegung der Deutschen Kolonialschule in Witzenhausen an der Werra nach Hamburg. 361-VI, 631.
Adick, Christl (1981): Bildung und Kolonialismus in Togo. Eine Studie zu den Entstehungszusammenhängen eines europäisch geprägten Bildungssystems in Afrika am Beispiel Togos 1850-1914. Weinheim: Beltz. – Baum, Eckard (1997): Daheim und überm Meer. Von der Deutschen Kolonialschule zum Deutschen Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft in Witzenhausen. Sonderausgabe der Schriftenreihe „Der Tropenlandwirt“ (Beiheft 57). Witzenhausen: Deutsches Institut für Tropische und Subtropische Landwirtschaft. – Deutsches Kolonial-Lexikon (1920a): „Kolonialschulen“. Band II, 341. – Deutsches Kolonial-Lexikon (1920b): „Schulen. 1. Eingeborenenschulen. 2. Europäerschulen“. Band III, 308ff. – Fabarius, Ernst Albert (1909): Nachrichten aus der deutschen Kolonialschule. In: Der Deutsche Kulturpionier 9, 2 (Sonderheft). – Meyers Großes Konversations-Lexikon (1907): „Kolonialschulen“. Band 11. Leipzig, 290. – Rommel, Mechtild; Rautenberg, Hulda (1983): Die Kolonialen Frauenschulen von 1908-1945. In: Der Tropenlandwirt. Zeitschrift für die Landwirtschaft in den Tropen und Subtropen. Beiheft Nr. 16. – Rosenfeld, Annette (1999): „Ein Segen dem fernen Lande“. Frauen und Kolonialismus. In: Möhle, Heiko (Hrsg.): Branntwein, Bibeln und Bananen. Der deutsche Kolonialismus in Afrika – eine Spurensuche in Hamburg. Hamburg: Libertäre Assoziation, 75-80.