Schulen für minderjährige Mütter und Väter
Jugendliche Schülerinnen, die schwanger werden, verbleiben schulrechtlich an der zuletzt besuchten Schule. Zumeist ruht die Schulpflicht für ca. ein Jahr, so dass sich die jungen Mütter eine Zeitlang um ihre Kinder kümmern können. Besondere Beratungs- und Unterstützungsangebote für jugendliche Schwangere und Mütter gibt es in den allgemeinbildenden Regelschulen überwiegend nicht, und auch in den Berufsschulen wird auf solche Situationen selten Rücksicht genommen. Dennoch streben die meisten jungen Mütter einen schulischen Abschluss an und haben oft konkrete Berufswünsche. [Friese 2008; Chamakalayil 2010; Sylla 2020]
Im deutschen Schulsystem werden äußerst wenige Angebote für diese Zielgruppe vorgehalten: Die meisten Projekte beschränken sich auf sozialpädagogische Beratung oder es sind Maßnahmen der Jugendhilfe, bei denen die jungen Mütter in entsprechenden Wohngemeinschaften untergebracht sind und in der Regel dann eine öffentliche Schule besuchen. [LAG JAW 2010]
In Hamburg wurden in besonderen Klassen im Rahmen der beruflichen Grundbildung jährlich bis zu achtzig junge Mütter unterrichtet und auf eine berufliche Qualifizierung vorbereitet. Dieses einjährige Berufsvorbereitungsjahr wurde in Vollzeitform durchgeführt, die Einschulungen erfolgten laufend. Die Kinder konnten in der Krippe untergebracht werden, die der Berufsschule angegliedert war. Dieses erfolgreiche Bildungsangebot wurde indes aufgelöst. [Huber 2001]
In Bremerhaven ist bundesweit der bislang einzige in der Regel zweijährige Bildungsgang eingerichtet worden, der Schülerinnen aus ressourcenarmen sozialen Lagen schulische Bildung und berufliche Vorbereitung unter erschwerten Rahmenbedingungen anbietet. Anders als in der „Mütterschule“, in der junge Frauen ausschließlich auf die Versorgung von Kind und Haushalt vorbereitet werden, leitet „Känguru“ in eine Erwerbstätigkeit (Arbeit) oder in eine Ausbildung (Beruf) über. Das pädagogische Angebot beruht auf drei Säulen: Erstens Unterricht, montags bis freitags von 9 bis 14.15 Uhr, in den Fächern Deutsch, Mathematik, Politik, EDV, Berufliche Orientierung und Haushaltsmanagement. Der Besuch von Beratungsstellen oder die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen, wie zum Beispiel Kinobesuchen, gehören ebenso zum Schulalltag. Einmal wöchentlich findet unter fachkundiger Anleitung einer Hebamme und eines Kinderarztes eine Mutter-Kind-Gruppe statt. Regelmäßig gehen alle zusammen mit der Lehrerin und den Kindern zum Babyschwimmen. Da sich viele Schülerinnen nicht allein aufgrund der frühen Mutterschaft in einer belasteten Lebenssituation befinden, werden sie, zweitens, durch die sozialpädagogische Begleitung bei der Bewältigung des Schulalltags unterstützt. Auch die Entwicklung beruflicher und persönlicher Lebensperspektiven zusammen mit dem Kind wird individuell geplant und im Rahmen von Betriebspraktika erprobt. Ebenso bereitet man den Anschluss vor, denn um beispielsweise einen kostenlosen Kindergartenplatz zu bekommen, müssen die jungen Frauen einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag nachweisen, den sie aber erst abschließen können, wenn eine Betreuungseinrichtung gefunden ist, deren Öffnungszeiten zu den Arbeitszeiten passt. Als dritter Bestandteil gehört die Kinderbetreuung zu der Schule. Die Kinder der Schülerinnen werden während des Unterrichts versorgt und auch, wenn die Schülerinnen ihre Betriebspraktika, eine weiterführende Bildungsmaßnahme oder eine berufliche Ausbildung absolvieren. In freundlichen Räumen, die direkt neben den Klassenzimmern liegen, werden die Kinder von Mitarbeiterinnen der Tagespflege betreut. Es ist keine Kindertagesstätte, sondern eine Zusammenfassung der Leistungen vor Ort, die die „Tagesmütter“ ansonsten bei sich zuhause erbringen würden. Deren Arbeitsverträge sind entsprechend angepasst und zeitlich ausgeweitet. Erhält eine Teilnehmerin einen Ausbildungsplatz, dann werden in Absprache zwischen ihr und dem Arbeitgeber gemeinsame Vereinbarungen über die notwendigen Schritte und die jeweilige Zuständigkeit für den Ausbildungsvertrag, die Organisation der Kinderbetreuung und die die Ausbildungsvergütung ergänzenden wirtschaftlichen Hilfen getroffen und deren Umsetzung begleitet. [Wiesner 2013]
Bildungsangebote für minderjährige Mütter unterliegen vielfältigen Spannungsverhältnissen, die eine erfolgreiche Umsetzung für die Teilnehmerinnen wie für die Lehrkräfte schwierig machen: Für die Schülerinnen sind die oftmals komplexen Lebensverhältnisse, ihr Gesundheitszustand, die Belastbarkeit sowie die Leistungsbereitschaft und Bildungsmotivation eine große Herausforderung. Die Lehrkräfte haben solche individuellen Problemlagen zu berücksichtigen, wissen aber auch, dass sie den Teilnehmerinnen viel abverlangen müssen, sollen diese erfolgreich die Schule beenden und mit einer Erwerbstätigkeit, Ausbildung oder einer weiterführenden Qualifizierung beginnen. Dennoch sind solche Bildungsgänge beeindruckende Beispiele für die schulorganisatorische Umsetzung einer lebenslagenorientierten Perspektive, um mit einer emanzipatorischen und arbeitsweltbezogenen „Mädchenbildung“ realistische Zukunftsperspektiven zu eröffnen. [Sylla 2020]
Aktuell kommen auch die jungen Väter in den Blick. Empirische Studien zeigen einerseits, dass sich viele Teenager-Väter nicht an der Familienarbeit beteiligen, zunehmend wollen sie sich aber auch aktiv einbringen. Viele kennen sich in den rechtlichen Konsequenzen nicht aus und wissen nicht, dass sie um die Feststellung der Vaterschaft nicht herumkommen. Selten suchen sie eine professionelle Beratung auf, wobei die Angebote für Männer oftmals eher an den mittleren sozialen Milieus ausgerichtet und somit nicht passig sind. In der Ausbildungswerkstatt Georgsmarienhütte wurde zusammen mit Pro Familia in der Auszubildendengruppe eine „Vätergruppe“ aufgebaut, um das Thema Vaterschaft nicht wie üblich auszuklammern, sondern einen Austausch anzuregen über die Verunsicherungen, Erziehungsfragen, Sachprobleme und Männlichkeitsverständnisse. Dieser Austausch wurde von den jungen Vätern intensiv nachgefragt und sehr positiv bewertet [Siepelmeyer 2010].
In Kanada, den USA und Großbritannien werden eher „Teen Parent Schools“ eingerichtet, um für die jungen Paare und somit die Kleinfamilie gemeinsame Bildungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Unterstützung in Young Parents Programms ermöglicht einen Teilzeitschulbesuch, sodass die jungen Eltern ihre Kinder leichter selbst versorgen können, und es sichert die unterrichtsbegleitende Kinderbetreuung. Der Bildungsgang kann bis zu drei Jahre lang in Anspruch genommen werden, ein Einstieg ist monatlich möglich. Der Unterricht vermittelt Allgemeinbildung, Alltagskompetenzen, berufliche Orientierung und Erziehungskompetenzen (Parenting skills). Realiter sind indes überwiegend die jungen Mütter alleine in diesen Elternschulen. [Gundlach/Sylla 2017]
Chamakalayil, Lathia (2010): Rückkehr zur Mütterschule? Anforderungen an die Familienbildung angesichts der Situation einer vernachlässigten Zielgruppe. In: Spies, Anke (Hrsg.): Frühe Mutterschaft – die Bandbreite der Perspektiven und Aufgaben angesichts einer ungewöhnlichen Lebenssituation. Baltmannsweiler: Schneider, 127-146. – Friese, Marianne (2008): Kompetenzentwicklung für junge Mütter. Förderansätze der beruflichen Bildung. Bielefeld: Bertelsmann Verlag. – Gundlach, Hanna; Sylla, Cornelia (2017): The challenge of overcoming deficit orientation towards adolscents parents through social research in Germany and in the USA. In: Schroeder, Joachim; Seukwa, Louis Henri; Voigtsberger, Ulrike (Hrsg.): Soziale Bildungsarbeit – Europäische Debatten und Projekte. Wiesbaden: Springer, 69-84. – Huber, Irmela (2001): Junge Mütter und junge Frauen in der Berufsvorbereitung. In: Friese, Marianne (Hrsg.): Berufliche Lebensplanung für junge Mütter (BeLeM). Bremen: Universität, 68-75. – LAG JAW (2010): Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen: Themenheft „Junge Mütter und junge Väter in der Jugendberufshilfe“. Pro Aktiv Nr. 3. – Siepelmeyer, Martin (2010): Junge Väter in der Berufsbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE). In: LAG JAW (2010): Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen: Themenheft „Junge Mütter und junge Väter in der Jugendberufshilfe“. Pro Aktiv Nr. 3, 18-21. – Sylla, Cornelia (2020): Jugendliche Mütter in der Schule. Inklusion als Hürdenlauf im Spagat. Weinheim und München: BeltzJuventa. – Wiesner, Meike (2013): „Weiblich, ledig, jung, schwanger – Beschulung von Teeangermüttern an der Werkstattschule Bremerhaven“. In: Friedrich Jahresheft 2013, 108-109.