Berufliche Bildung für Sintizze und Romnja
Aufgrund oftmals unzureichender schulischer Teilhabe in Deutschland werden neben eigenen (→) Schulen für junge Romnja und Sintizze auch Bildungs- und Beschäftigungsprojekte für ältere Jugendliche und Erwachsene angeboten. [Strauß 2021]
In den arbeitsweltbezogenen Grundbildungsangeboten werden zunächst in Alphabetisierungskursen die basalen Voraussetzungen für eine Integration in das Beschäftigungssystem geschaffen. Zu solchen Konzepten gehören zumeist eine intensive Schul-, Sozial- und Ausbildungsberatung sowie die Unterstützung bei der Arbeitssuche und bei persönlichen bzw. familiären Problemen, um den Übergang in Beschäftigung oder in eine Ausbildungsstelle zu sichern. In Hamburg gibt es zwei Einrichtungen, von denen die eine auf vorberufliche Bildung für die dort langansässigen Sintizze fokussiert, die andere spezielle Angebote für Romnjafrauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus unterbreitet. In beiden Vorhaben geht es darum, Arbeitsmöglichkeiten anzubieten, die auch mit geringer Schulbildung ausgeführt werden können, und die Beschäftigungsfähigkeit in direkten Zusammenhang mit den angebotenen Tätigkeiten zu fördern. In Berlin werden für die dort lebenden Romnja aus Polen und Südosteuropa neunmonatige Kurse und Praktika in den Bereichen Metall, Holz, Elektronik, Kfz-Mechatronik, Textil und Gesundheitspflege angeboten. In Plauen wird seit vielen Jahren das Projekt RomABC goes Europe! durchgeführt, in dem in einem Netzwerk mit zahlreichen Ländern der EU Kurskonzepte, Lehrmaterialien, IT-Tools und Ansätze zur Qualitätssicherung der Angebote und zur Professionalisierung der pädagogischen Fachkräfte erarbeitet werden.
Möglichkeiten zur beruflichen Qualifizierung, also der Ausbildung für einen Beruf im regulären Arbeitsmarkt, gab es in Deutschland lange Zeit nicht. Romnja und Sintizze mit deutscher Staatsangehörigkeit gelang es in seltenen Fällen, auf dem üblichen Weg über den Erwerb eines allgemeinbildenden Schulabschlusses eine berufliche Ausbildung aufzunehmen. Für Romnja im Asylverfahren gab es hingegen jahrzehntelang in Deutschland strikte gesetzliche Ausschlüsse vom Berufsbildungs- und Beschäftigungssystem. Im Kontext der Europäischen Gemeinschaftsinitiative EQUAL (2002-2008) fanden rechtliche Lockerungen statt, sodass für junge Romnja in zwei Modellprojekten in Frankfurt/Main und Berlin eine berufliche Qualifizierung in verschiedenen handwerklichen und pflegerischen Berufen angeboten werden konnte, begleitet mit Deutsch- und Alphabetisierungskursen sowie sozialer Beratung. Die Berufsfelder waren zumeist so ausgewählt worden, dass sie bei einer freiwilligen oder erzwungenen Rückkehr in den Herkunftsländern zum Aufbau einer neuen Existenz genutzt werden können. In manchen Bundesländern wurden die durch EQUAL geschaffenen rechtlichen Öffnungen des Arbeitssystems weitergeführt, in anderen nach Beendigung des Programms wieder zurückgenommen.
Mit dem Ziel einer Verbesserung der schulischen Integration junger Sintizze und Romnja gibt es schließlich Projekte, in denen ältere Angehörige dieser ethnischen Minderheiten eine Qualifizierung für pädagogische Tätigkeiten durchlaufen können. Auch wenn sie nicht immer über die formalen schulischen Voraussetzungen für eine Ausbildung zur Sozialpädagogin oder zum Sozialarbeiter verfügen, sind sie aufgrund ihres sprachlichen und kulturellen Hintergrunds oftmals gut geeignet für eine solche Arbeit. In Hamburg werden Romnja für die Schulsozialarbeit und zu Sprachlehrkräften für Romani qualifiziert. In Kiel und Berlin werden sie für die Schulmediation aus- und fortgebildet, um die Verständigung zwischen den Schulen und den Eltern zu fördern bzw. bei Konflikten zu vermitteln. Zu ihren Aufgaben gehört es, Hausbesuche zu machen, Elternabende zu organisieren sowie Schülerinnen und Schüler im Unterricht zu unterstützen mit dem Ziel, die Schul-, Bildungs- und Berufsbildungssituation durch die Vernetzung und Stärkung des Engagements zwischen Schule, Schülerschaft und Eltern zu verbessern. Im Sinne erfolgreicher Bildungskarrieren sollen die Mediatorinnen und Mediatoren zudem Vorbilder für die jungen Romnja und Sintizze sein. [LI 2015]
LI (2015) – Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (Hrsg.): Roma und Sinti: Bildungsberater an Hamburger Schulen – eine Bestandsaufnahme. Hamburg: LI. – Strauß, Daniel (Hrsg.) (2021): Romnokher-Studie 2021. Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland. Mannheim: RomnoKher.