Berufsschulen für gewerblich Reisende

Die Bildungsteilhabe von Schausteller- und Zirkusfamilien ist eher gering, deshalb gibt es für sie spezielle allgemeinbildende (→) Schulen für beruflich Reisende. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat sich 2003 überdies mit den grundsätzlichen Fragen der beruflichen Ausbildung von Jugendlichen aus dem Schaustellergewerbe befasst, da auch diese der Berufsschulpflicht unterliegen. Früher lehnte der Bundesverband Deutscher Schausteller e.V. einen eigenständigen Ausbildungsberuf zum „Schausteller“ ab, der aber inzwischen unter der Bezeichnung „Gewerblich Reisende“ eingeführt worden ist. [Ecotec 2008]

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Mit dem Schulversuch BeKoSch – „Berufliche Kompetenzen für Schausteller und Zirkusangehörige“ – werden an drei Berufsschulen für gewerblich Reisende (Nidda, Herne, Neumünster) im Blockunterricht während der Wintermonate für solche Jugendliche arbeitsweltbezogene Grundbildungsangebote unterbreitet, in denen die Berufsschulpflicht erfüllt wird und berufsnahe Inhalte des kaufmännischen und gewerblich-technischen Bereichs vermittelt werden. Hiermit wird an die Tradition der (→) Winterschule angeknüpft. Die Jugendlichen können in diesen Lehrgängen durch die Teilnahme an einem mehrmonatigen Blockunterricht während der Wintermonate ihre Berufsschulpflicht erfüllen sowie einen Schulabschluss erwerben und sich mit berufsrelevanten Inhalten im kaufmännischen und gewerblich-technischen Bereich befassen.

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Ziel ist die Vermittlung solcher Kompetenzen, welche die Jugendlichen darin unterstützen, ihre Arbeit auf dem Jahrmarkt oder im Zirkus fehlerfreier zu erledigen. Die Qualifizierungsangebote sind in vier Module gegliedert, die verpflichtend absolviert werden müssen und verschiedene Themenbereiche bzw. Kompetenzen abdecken. In einem gewerblich-technischen Modul werden Fertigkeiten in der Instandhaltung von Fahrzeugen vermittelt, als einem ganz wesentlichen Anforderungsbereich im Schausteller- und Zirkusgewerbe. Themen wie Kraftfahrzeugtechnik und Fahrzeugkunde, Montage- und Inspektionsarbeiten, Fahrwerks- und Bremssysteme, Karosserie und Motorsysteme gehören zu diesem Lernfeld. In einem zweiten gewerblich-technischen Modul werden verschiedene Techniken des Schweißens und der Holzverarbeitung erlernt, ebenfalls eine wichtige Kompetenz für die Bewältigung des Arbeitsalltags. In den beiden anderen Modulen werden Grundlagen der Wirtschafts- und Betriebslehre vermittelt (Textverarbeitung und Serienbriefe, Buchführung, kaufmännisches Rechnen, EDV, Planung, Koordination und Kontrolle der Unternehmensziele, Gewerbliche Finanzierung, Versicherungen im Gewerbe, Marketing im Schaustellergewerbe, Wege der Werbung) sowie Konfliktmanagement, Kommunikationstechniken, Hygieneschulung und ein Erste-Hilfe-Kurs.

Die jungen Leute kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, denn alle deutschen Schulämter erkennen die Lehrgänge an den drei Standorten als Berufsschulpflichtzeit an. Hierfür müssen die Jugendlichen innerhalb von zwei bis drei Jahren mehrere Blocklehrgänge im Umfang von insgesamt zwölf Wochen besuchen, die während der Reisezeit durch Fernlehrgänge ergänzt werden, welche zeitgemäß internetbasiert per PC im „eLearning“ aufgebaut sind.

Jugendlichen, die nicht täglich zur Berufsschule anreisen können, steht in Nordrhein-Westfalen ein sozialpädagogisch begleitetes Internat in Dortmund zur Verfügung, das allerdings selbst bezahlt werden muss. In Nidda (Hessen) und Neumünster (Schleswig-Holstein) dagegen ist die Schule bei der Suche nach einer wunschgemäßen Unterbringung behilflich, Internate gibt es aber nicht. Die Lehrgänge sind für die Jugendlichen kostenlos. Das Konzept und die Organisationsform wurde im Gloucestershire College in Großbritannien und vom Lycée Peltier in Frankreich übernommen. [Ett-edu 2014]

Im Berufskolleg Herne können etwa siebzig Jugendliche pro Jahr qualifiziert werden, in Nidda und Neumünster sind es jeweils zwölf junge Leute. In den ersten Jahren war es schwierig, eine ausreichende Zahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu finden, inzwischen konnten sich die Lehrgänge jedoch etablieren und werden gut nachgefragt. Die Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und Hessen planen, den Schulversuch in dauerhafte Angebote zu überführen, was wiederum von den Schaustellerverbänden, Eltern und interessierten Jugendlichen sehr begrüßt wird. [Ett-edu 2014].

Ecotec (2008): Study on the schooling of children of occupational travellers in the European Union. A Final Report to the Directorate General for Education and Culture of the European Commission. Birmingham: Ecotec Research and Consulting. – Ett-edu (2014): Berufliche Ausbildungsangebote für junge Schausteller in Europa. Ergebnisse und Transfer. Brüssel: Leonardo da Vinci.