Fernschulen - Webschulen
Bei der Distanzbeschulung sind zwei grundlegende Formen zu unterscheiden, die hinsichtlich ihrer Arbeitsweisen und Zielgruppen deutliche Differenzen aufweisen: Die „Fernschulen“ adressieren Schülerinnen und Schüler in Jugendhilfemaßnahmen. Es wird versucht, das schulische Angebot im Lebensfeld der Jugendlichen zu verorten. Die „Webschulen“ dagegen richten sich eher an Schülerinnen und Schüler, die keinen festen Wohnsitz haben oder die aktuell in Regionen leben, in denen es keine oder keine passenden Schulen gibt. Der Unterricht in den Webschulen basiert fast ausschließlich auf E-learning, in den Fernschulen werden PC und Internet zwar genutzt, es sind aber nicht die vorherrschenden Medien der Beschulung. In manchen Einrichtungen werden beide Formen angeboten.
Die ersten Fernschulen für schulmüde Jugendliche wurden in Deutschland Ende der 1990er Jahre geschaffen [Fischer 2009]. Zumeist sind sie Bestandteil einer Erziehungshilfeeinrichtung, oftmals werden sie parallel zu einer Förder- oder einer Heimschule angeboten, wenn Jugendliche sich beispielsweise weigern, in eine stationäre Einrichtung oder in ein ambulantes Tagesangebot zu gehen. Ziel einer Fernschule ist die Vorbereitung auf einen Schulabschluss, der zumeist als externe Schulfremdenprüfung abgelegt wird. Der Bildungsplan des jeweiligen Bundeslandes und der spezifischen Schulform wird hierfür in Lernmodule aufbereitet. Die Lehrkraft sendet dem oder der Jugendlichen auf dem Postweg diese „Studienbriefe“ nach Hause zu, die Schülerinnen und Schüler haben dann zumeist zwei Wochen Zeit, das Lernpensum eigenständig zu bearbeiten und die Einsendeaufgaben zu lösen, die schließlich an die Fernschule zurückgeschickt und dort korrigiert werden. Aufbauend auf den Ergebnissen wird individuell das nächste Lernpaket zusammengestellt. Mit einem solchen Konzept begann 1997 eine Fernschule in Breisach am Rhein, die an das dortige Christophorus-Jugendwerk der Caritas angegliedert ist; Jugendliche in ganz Deutschland werden beschult. In Köln wurde 2010 ebenfalls eine Einrichtung eröffnet sowie 2011 eine in Bamberg. Mit einem eigenen Konzept und stärker auf den Einsatz von Computern und Internet ausgerichtet ist das „Virtuelle Klassenzimmer“ von „Mutpol“, einer Einrichtung der Diakonischen Jugendhilfe in Tuttlingen. In all diesen Institutionen wird nicht nur die Fernbeschulung angeboten, sondern es gibt auch Erziehungshilfe- und Sonderberufsschulen herkömmlichen Zuschnitts. [Flex-Fernschule 2002; Heckner 2013; www.flex-fernschule.de]
[Foto: Schroeder, 2011]
Die Fernschulen arbeiten außerdem mit Jugendlichen, die nicht zuhause wohnen, sondern irgendwo in Deutschland in einem intensivpädagogischen Setting (z.B. einem Bauernhof) untergebracht sind, oder die an einer (→) Intensivpädagogik im Ausland teilnehmen und für einen festgelegten Zeitraum auf einer abgelegenen Farm, in einem handwerklichen Kleinstbetrieb oder naturnah in einem abgeschiedenen Bergdorf oder einem Haus am See leben und sich dort am Alltagsleben beteiligen; der schulische Anschluss wird dann oftmals über den Fernunterricht gesichert. [Fischer 2010, Wendelin 2011].
In den Webschulen wird der Unterricht überwiegend per Computer und Videotelefon (Skype) gestaltet. Die Jugendlichen leben im Ausland oder haben eine Behinderung bzw. ein gesundheitliches Problem, sie befinden sich im Strafvollzug oder in der Psychiatrie. Auch schulpflichtige junge Künstlerinnen und Künstler auf Tournee oder hochbegabte Schülerinnen und Schüler ebenso wie die Kinder von Expatriats in der Internationalen Entwicklungszusammenarbeit, die in abgelegenen Regionen arbeiten, werden auf diese Weise individuell in ihrem Lernen gefördert und auf Schulabschlüsse vorbereitet. Die Web-Schulen können somit als zeitgemäße Varianten der „Radioschulen“ oder „Buschschulen“ betrachtet werden, in denen früher mit Funkgeräten und lokalen Radiosendern für Kinder in unzugänglichen Gegenden, wo es keine Schulen gab bzw. die Internatsunterbringung nicht möglich oder nicht gewünscht war, beschult wurden (Funkkolleg). Die später entwickelten „Fernseh-Schulen“ (Telekolleg) werden mehr und mehr durch die „Online-Schulen“ abgelöst. Im Unterschied zu den Fernschulen wird in den Web-Schulen fast ausschließlich mit digitalen Unterrichtsformaten gearbeitet. [Dieckmann/Zinn 2017]
Dieckmann, Heinrich; Zinn, Holger (2017): Geschichte des Fernunterrichts. Bielefeld: wvb. – Fischer, Ralph (2009): Homeschooling in der Bundesrepublik Deutschland: Eine erziehungswissenschaftliche Annäherung. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft. – Fischer, Torsten (2010): Intensivpädagogik im Ausland. Aachen: Shaker. – Flex-Fernschule Breisach-Oberrimsingen (2002): Flex. Flexible Lernhilfe. Leistungsbeschreibung. Caritas. – Heckner, Thomas (2013): Schulverweigerung als individuelle entwicklungsbezogene Bewältigungsstrategie zwischen Risikoverhalten und Resilienzbildung. Ressourcenorientierung in der Arbeit mit Schulverweigerern im Rahmen von Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII am Beispiel der Flex-Fernschule. Dissertation, Universität zu Köln. – Wendelin, Holger (2011): Erziehungshilfen im Ausland: Konzeptionen, Strukturen und die Praxis von intensivpädagogischen Auslandshilfen. Weinheim: Juventa.