Green Care Schools

Die Verbindung Sozialer Arbeit, Sonderpädagogik und Therapie mit Naturerfahrungen, sind häufig gewählte Ansätze im Feld der Benachteiligtenpädagogik. Unter dem Begriff Green Care werden sozial- und heilpädagogische sowie therapeutische Förderkonzepte gefasst, die an Natur, Tieren und Pflanzen, Land-, Garten- und Waldbau orientiert sind. Die „Grüne Sozialarbeit“ richtet sich an Menschen mit besonderen Bedürfnissen wie Sucht- oder psychische Erkrankungen, Lernschwierigkeiten usw. Für Haftentlassene, Missbrauchsopfer, Wohnungslose oder Langzeitarbeitslose wird insbesondere in der sozialen Landwirtschaft die Reintegration in die Gesellschaft versucht. In der Kinder- und Jugendhilfe gehören dazu Wald-, Hof- und Zooschulen sowie Care farming. [Sempik et al. 2010; Limbrunner/van Elsen 2013]

Jugendhilfeschulen_squares-08

Eine der ersten Ansätze sind Waldschulen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen europäischen Großstädten eingerichtet wurden für Proletarierkinder, die in der „schlechten Luft“ der Großstädte und in sehr beengten, kaum belüftbaren, oftmals feuchten Wohnungen lebten und Haut- und Atemwegserkrankungen, Unterernährung aber auch Depressionen zeigten. Mit Frischluft und Sonne sollten diese Kinder wenigstens im Unterricht physische und psychische Entspannung erleben dürfen. Der Kinderarzt Bernhard Bendix und der Schulrat Hermann Neufert gründeten 1904 in Berlin-Charlottenburg am Rande des Grunewalds die „Waldschule für kränkliche Kinder“, mit zunächst 95 Kindern und vier Lehrkräften. Die Schülerinnen und Schüler wurden von Fürsorge- oder Schulärzten dafür angemeldet: „Die Schule ist vorläufig für 60 Knaben und 60 Mädchen eingerichtet und bietet gegen ein mäßiges Entgelt, bei Unbemittelten kostenlos, den Kindern Aufenthalt, Beköstigung, Unterricht und Beaufsichtigung während des ganzen Tages. Gegessen wird im Freien, wie denn überhaupt die Kinder möglichst ununterbrochen in der freien Luft sich aufhalten. Der Unterricht wird in einer hellen, luftigen Schulbaracke erteilt, durch deren weit offene Fenster die würzige Waldluft hereinzieht. Hoffentlich gelingt es dem Unternehmen unserer Großstadtjugend zum Heil und Segen sich zu entwickeln.“ [Bendix/Neufert 1906, 132; vgl. auch König 1910]

Waldschulen oder Forest Schools gibt es noch heute, sie sehen aber ihren Auftrag nun mehr in einer reformpädagogischen Arbeit der Outdoor Education und Umwelterziehung. Sie sind zu einem festen Bestandteil der frühen Bildung geworden, europaweit gibt es sehr viele Wald-Kitas, in denen der bildende Ansatz indes dominiert und spielpädagogisch der Wald als ein Lern-, Erfahrungs- und Bildungsort „genutzt“ wird. [Kraftl 2013a; Leather 2018]

Jugendhilfeschulen_squares-12

Als eine heilpädagogische Weiterentwicklung der Waldschule lässt sich die Hofschule sehen. Dieser Ansatz grenzt sich von den Schulbauernhöfen ebenso ab wie vom Urlaub auf dem Bauernhof, in denen Landwirtschaft „inszeniert“ und zu „Spielbauernhöfen“ und „Circus Farming“ würden [van Elsen 2010, 143ff.]. In Deutschland gibt es erst wenige Beispiele, so die Hofschule Wendisch Evern, ein Förderschulzweig der Rudolf-Steiner-Schule Lüneburg für die Bereiche Lernen, emotionale und soziale, geistige und motorisch-körperliche Entwicklung. Gegründet 2007 verbindet die Hofschule das Schulleben mit einem aktiven Demeter-Bauernhof. Die Einbettung des schulischen Lebens in den bäuerlichen Jahreslauf, von der Aussaat bis zur Ernte, ist ein zentrales pädagogisches Anliegen. Auf dem Hof werden 12 Schuljahrgänge in sechs Doppelklassen zu je etwa zwölf Schülerinnen und Schülern unterrichtet. Das Besondere dieser Schule ist, dass bis zur achten Klasse neben dem normalen Fächerkanon der Waldorfschule auch die anfallenden Arbeiten mit den Tieren auf dem Hof und den damit verbundenen Tätigkeiten in Wald und Flur in der täglichen „Hofstunde“ mit dem Bauern ganz selbstverständlich mit eingebunden sind. Der Bauer gehört zum Kollegium, wie auch die Werkstattleiter, die ähnlich wie der Bauer neben der Lehrertätigkeit einen eigenständigen Betrieb führen. [van Elsen 2010]

Eher intergenerationelle Ansätze werden in den Care farms verfolgt, in Deutschland zumeist als „Soziale Landwirtschaft“ bezeichnet: „Das ist der landwirtschaftliche Betrieb, der Menschen mit Behinderung integriert, der Hof, der eine Perspektive bietet für sozial schwache oder psychisch kranke Menschen, für straffällige oder lernschwache Jugendliche, Drogenkranke, Langzeitarbeitslose und alte Menschen mit einem Pflegebedarf“ [van Elsen 2008]. Die meisten Care farms gibt es in den Niederlanden, über tausend sollen es sein; aber auch in Norwegen, Großbritannien und Italien „boomen“ sie. Manche sind zielgruppenspezifisch für bestimmte Klientengruppen ausgerichtet, wie für Wohnungslose oder Geflüchtete. Zunehmend werden aber auch unterschiedliche Gruppen integriert, so in den Niederlanden, wo ein Hof nach langjähriger Arbeit mit behinderten Kindern nach zunächst großen Vorbehalten Drogenpatienten aufnahm, mit überraschendem Erfolg, da die Suchtkranken sich liebevoll in der Betreuung der Kinder engagieren und so ihre suchtbedingte Selbstbezogenheit überwinden konnten [Kraftl 2013b; van den Brink 2018; www.soziale-landwirtschaft.de].

Traditionell haben die rund 80 Zooschulen in Deutschland einen gesetzlichen Bildungsauftrag und sie sollen durch hochwertige zoopädagogische Bildungsangebote das öffentliche Bewusstsein zur Erhaltung der biologischen Vielfalt fördern. Sie sind ein klassischer außerschulischer Lernort der Biologie und Umweltpädagogik. Die Zoopädagogik macht Angebote insbesondere für Schulklassen aller Schulformen, Kita- und Studierendengruppen sowie in der Lehrer- und Erzieherfortbildung; außerdem bietet sie Beratung von Lehrkräften für den eigenständigen Unterricht. Es gibt vereinzelte Initiativen zur Öffnung für Kinder mit einer Behinderung und Schaffung von Barrierefreiheit, um den Zoo als inklusiven Lernort zu gestalten (der Zoo in Heidelberg z.B. für sehbeeinträchtigte und blinde Kinder, der Zoo in Landau für Kinder mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung). Schulisch bedeutsamer ist hingegen die Tiergestützte Therapie. Tiere als therapeutische und pädagogische Helfer einzusetzen ist heute fächerübergreifend üblich geworden. Die Forschung hat einige förderliche physiologische, psychologische und soziale Effekte der Mensch-Tier-Interaktion bestätigt. [Dittrich 1990; Vernoij/Schneider 2018; www.vzp.de].

Bendix, Bernhard; Neufert, Hermann (1906): Die Charlottenburger Waldschule im ersten Jahr ihres Bestehens. Berlin: Urban & Schwartzenberg. – Dittrich, Lothar (1990): Der Bildungsauftrag des Zoos einst und jetzt. Seine Möglichkeiten und Grenzen. Grundschule 22, 7/8, 20-21. – König, Karl (1910): Waldschule. In: Rein, Wilhelm (Hrsg.): Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik, Bd. 10. Langensalza: Beyer, 63–111. – Kraftl, Peter (2013a): Care farms. In: ders.: Geographies of Alternative Education. Diverse learning spaces for children and young people. Bristol: Policy Press, 55-59. – Kraftl, Peter (2013b): Forest schools. In: ders.: Geographies of Alternative Education. Diverse learning spaces for children and young people. Bristol: Policy Press, 60-65. – Leather, Mark (2018): A critique of „Forest School“ or something lost in translation. In: Journal of Outdoor and Environmental Education 21, 5-18. – Limbrunner, Alfons; van Elsen, Thomas (Hrsg.) (2013): Boden unter den Füßen. Grüne Sozialarbeit - Soziale Landwirtschaft - Social Farming. Weinheim: Beltz Juventa. – Sempik, Joe; Hine, Rachel; Wilcox, Deborah (2010): Green Care: A Conceptual Framework, A Report of the Working Group on the Health Benefits of Green care. Loughborough: University Press. – van den Brink, Annelien (2018): Education at care farms. Opportunities and constraints between Stakeholders. www.wur.nl/nl/show/Final-report-Education-at-Care-Farms.htm – van Elsen, Thomas (2008): Social Farming in Europa. Soziale Landwirtschaft zwischen Marksegment und gesellschaftlichem Wandel. In: Lebendige Erde, 2, 20-23. – van Elsen, Thomas (2010): Lernen auf dem Bauernhof zwischen Social Farming und Circus Farming – Erfahrungen aus der europäischen Arbeitsgemeinschaft Farming for Health. In: BAGLoB, LJA und Hochschule Vechta (Hrsg.): Wissenschaftliche Fundierung des Lernens auf dem Bauernhof. 1. Fachtagung der Wissenschaftsinitiative zum Lernort Bauernhof, 10. - 12. Juni 2010, 134-146, Altenkirchen (Ww.). – Vernooij, Monika A.; Schneider, Silke (2018): Handbuch der Tiergestützten Intervention: Grundlagen – Konzepte – Praxisfelder. Wiebelsheim: Quelle & Meyer. – Wesenberg, Sandra (2019): Tiere in der Sozialen Arbeit. Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen. Stuttgart: Kohlhammer.