Hausunterricht
Aufgrund schweren Fehlverhaltens können die Schulbehörden Kinder oder Jugendliche durch Ordnungsmaßnahmen zeitweise oder im Extremfall dauerhaft vom Unterricht ausschließen: Nichtbeschulbarkeit, Schulunfähigkeit oder Ausschulung sind jedoch unbestimmte Rechtsbegriffe, somit ist die Möglichkeit, die Schulpflicht ruhen zu lassen, durch die Schulgesetze streng reglementiert. Denn die Schulpflicht ist juristisch nicht aufhebbar, sodass die Minderjährigen „ersatzweise“ in einer schulanalogen Bildungsmaßnahme untergebracht werden müssen. Neben (→) Lernwerkstätten oder (→) Intensivpädagogik im Ausland kann auch die Einzelbeschulung im Hausunterricht angeordnet werden. Im Unterschied zum (→) Homeschooling, bei dem der Unterricht entweder von der Familie eigenständig durchgeführt wird bzw. die Schule über digitale Settings das Lernmaterial nach Hause schickt (→ Fernschule), wird der Hausunterricht zumeist durch eine sonderpädagogische Fachkraft hauptsächlich in der Wohnung des Kindes oder Jugendlichen erteilt.
Historisch ist der Hausunterricht eine der ersten Formen der Organisation der Beschulung von jüngeren und älteren Kindern. Der Hofmeister war in adligen Familien tätig und der Hauslehrer in bürgerlichen Familien. Für die ärmeren Schichten boten Frauen und Männer, oftmals auch der Dorfpfarrer, den Unterricht in ihren eigenen Wohnstuben an, manchmal wurden fünfzig Kinder zusammengepfercht, der Unterricht war überwiegend memorierend angelegt. Dennoch plädierten insbesondere Philantrophen für diese Beschulungsform, die sie für „natürlich“ hielten, eingebunden in den lebensweltlichen Alltag, und ihn deshalb der „verderbten“ öffentlichen Erziehung vorzogen. Andere kritisierten indes die Schädlichkeit der Hauserziehung für Erzieher, Zögling und Staat gleichermaßen. Mit der zunehmenden Bedeutung des staatlichen Berechtigungs- und Prüfungswesens verlor der private Hausunterricht gegenüber der öffentlichen Schule seine Vorzüge und wurde wieder zur elitären „Prinzenerziehung“ [Fischer 2009].
Heutzutage kommt die behördliche Anordnung eines Hausunterrichts schulrechtlich de facto einem Unterrichtsausschluss gleich. Der Schüler, die Schülerin bleibt jedoch weiterhin Mitglied seiner/ihrer Stammschule. Da auch der Hausunterricht im Rahmen der Aufgaben einer Regelschule organisiert wird, stellt diese Maßnahme somit juristisch keine Ausschulung dar. Über das Ruhen der Schulpflicht entscheidet die zuständige Schulbehörde nach Anhörung der Eltern und auf der Grundlage eines pädagogisch-psychologischen und/oder eines schulärztlichen Gutachtens. Ein Schulamt kann zudem anordnen, dass die Schulpflicht für die Dauer des Entscheidungsverfahrens vorläufig ruht, wenn es die Aufrechterhaltung des Schul- oder Unterrichtsbetriebs oder die Sicherheit von Personen erfordern. In solchen Fällen werden dann auch die Jugend- und Sozialbehörden informiert.
Typische Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Schulpflicht ist eine Schwangerschaft (→ Schule für minderjährige Mütter) oder eine Erkrankung, die einen längeren Rehabilitierungsprozess erforderlich macht (→ Schule für Kranke): „Kinder und Jugendliche erhalten auf Antrag nach Maßgabe landesrechtlicher Regelungen Hausunterricht, wenn sie wegen oder infolge einer längeren Erkrankung die Schule nicht besuchen können. Vorbereitung und Organisation des Hausunterrichts regelt grundsätzlich die Schulaufsichtsbehörde; aufgrund landesrechtlicher Bestimmungen können sie auch von einer Schule durchgeführt werden. Sie stimmt sich mit der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt ab. Vor Aufnahme des Hausunterrichts muß das schriftliche Einverständnis der Erziehungsberechtigten vorliegen. In regelmäßigen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung des Hausunterrichts zu überprüfen“ [KMK 1998, Abschnitt 4.4].
Diese behördliche Schutzmaßnahme ist nachvollziehbar, wenn beispielsweise bei einem Tuberkuloseverdacht die Schulpflicht des oder der Erkrankten bis zur Heilung ausgesetzt wird, um zu verhindern, dass sich Mitschülerinnen und Mitschüler oder Lehrkräfte anstecken. Das Infektionsschutzgesetz sieht die Möglichkeit des Unterrichts- und Schulausschlusses für bestimmte Infektionskrankheiten vor, das heißt, ein krankes Kind kann durch behördliche Anordnung von den gesunden Kindern isoliert werden. Eine derartige einschneidende Maßnahme in das Persönlichkeitsrecht des Kindes ist für manche ansteckenden Krankheiten gesetzlich zwar möglich, jedoch nur für solche Erkrankungen, die eine ernstliche Gefahr für die Gesundheit der Mitschülerinnen und Mitschüler bedeuten. Um die Zulässigkeit der Maßnahme gibt es immer wieder Debatten, so für die (→) Beschulung bei HIV/Aids und insbesondere in der Covid-19-Pandemie, als die Schulbehörden zumindest in Deutschland vor allem (→) Homeschooling anordneten. [DGfE 2020]
Die dauerhafte Aufhebung der Schulpflicht kann bei schwerwiegenden psychischen oder lebensbedrohlichen somatischen Erkrankungen erfolgen. Fast immer werden die Ursachen auf ein Fehlverhalten der betroffenen Schülerinnen und Schüler zurückgeführt: Verwahrlosung und Dissozialität, Prostitution, Suizidalität, massiv selbstverletzendes und selbstschädigendes Verhalten. Gravierende Formen der Schulverweigerung, Gewalttätigkeit oder Suchtprobleme können ebenfalls eine Ausschulung auslösen, wenn nachweisbar ist, dass in den Bildungseinrichtungen alles – wenngleich erfolglos – versucht wurde, um das Kind oder den Jugendlichen im Schulsystem zu halten. Die dauerhafte Aufhebung der Schulpflicht ist eine extreme behördliche Maßnahme in einer extremen Situation.
Der Schulausschluss kann überdies als eine „erzieherische Einwirkung“ im Sinne einer Strafmaßnahme eingesetzt werden. Zahlreiche Fehltage oder Gewalthandlungen im Unterricht den Mitschülern bzw. den Lehrkräften gegenüber, können dazu führen, dass ein/e Jugendliche/r zeitlich befristet – in der Regel vierzehn Tage – vom Schulbesuch ausgeschlossen wird. In besonderen Härtefällen können in einigen Bundesländern ausländische Jugendliche vom vierzehnten Lebensjahr an ganz von der Schulpflicht „befreit“ werden. Ein dauerhafter Schulausschluss – die Ausschulung – wird vor allem bei Jugendlichen vollzogen, die nur noch einer Teilschulpflicht unterliegen, also sechzehn Jahre alt sind oder neun bis zehn Schulklassen absolviert haben.
Recherchiert man im Netz zum Themenfeld „Schulverweise“ werden vielfältige Gründe genannt: Gravierende Formen von Schulverweigerung, massive Gewalthandlungen im Unterricht, anzeigepflichtige Straftaten (z.B. Tierquälerei, Diebstahl), spektakuläre Vorkommnisse wie „School-Shooting“ (Amok), schwerwiegende psychische und chronische Erkrankungen, insbesondere ADHS und Autismus. Schulverweise gab es auch schon, weil ein Schüler die Bundeswehr kritisiert hat, wegen Diskriminierungen, z.B. von jüdischen Mitschülern, oder gegen Schülerinnen, die das Burka-Verbot missachtet haben.
Nimmt man aber das Fehlverhalten von Kindern und Jugendlichen zum Kriterium für den Schulverweis, gerät man rasch in normative Grenzbereiche: „Die schärfste Ordnungsmaßnahme ist der Schulverweis ohne vorherige Androhung. Schärfer geht es nicht. Sobald es um Drogen im Zusammenhang mit Schule geht, wird von allen Gerichten die härteste aller Ordnungsmaßnahmen toleriert. Unabhängig davon, um welche Mengen es sich handelt, ob vor der Schule oder auf dem Schulweg konsumiert wurde – anders als im Strafrecht reicht also bereits der Konsum. Es ist auch völlig unerheblich, ob nur ein einziges Mal konsumiert worden ist oder wie hoch der Wirkstoffgehalt war. Es gibt tatsächlich kein Gericht, das es nicht bejaht, wenn eine Schule im Zusammenhang mit Drogen zum Schulverweis greift. Erst vor kurzem bestätigte das Verwaltungsgericht in Darmstadt den sofortigen Schulverweis eines Jugendlichen, der angeblich echte Joints auf dem Schulhof verkauft hat, um ein bisschen Geld zu machen. Obwohl es völlig unstreitig war, dass die Joints gar kein Rauschgift enthielten, war dies für das Gericht unerheblich. Es bestätigte vielmehr den Schulverweis“ (Hanschmann 2016, 32f).
Kinder und Jugendliche, die weder in Regel- noch in Sonderschulen gefördert und gehalten werden können, sind dann in einer Jugendhilfemaßnahme zu beschulen. Denn der Staat kann sich – in extremen Fällen – seiner Beschulungspflicht, nicht aber seiner Fürsorgepflicht für Kinder in Not und Jugendliche in Krisensituationen entledigen.
DGfE (2020) – Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft: Schulbildung auf Distanz – „Beschulung Zuhause“ in Zeiten von Corona. – Fischer, Ralph (2009): Homeschooling in der Bundesrepublik Deutschland. Eine erziehungswissenschaftliche Annäherung. Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft. – Hanschmann, Felix (2016): Handlungsspielräume und Grenzen im Umgang mit Cannabis-Konsumierenden in der Schule aus juristischer Sicht. In: Drogenreferat der Stadt Frankfurt am Main: Cannabis und Schule, 31-33. – KMK (1998) – Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Empfehlungen zum Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler. Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 20.03.1998.